Die freundlichen Damen an der Bar des Enryaku-ji Kaikan sind da sehr gründlich: „Geburtsjahr?“ sagen sie freundlich und halten dem Gast eine riesige Tabelle mit Jahreszahlen unter die Nase. Warum ich mein Alter sogar für das Bestellen eines einfachen Cappuccino herausrücken soll, würde ich sie gerne fragen, doch mein Japanisch ist noch rudimentärer als ihr Englisch – also deute ich auf die richtige Jahreszahl. Nun – ich bin in einem Shukubo, einem traditionellen japanischen Tempel-Gästehaus. Was von aussen wie ein normales Hotel aussieht, ist in Wahrheit integraler Bestandteil der weitläufigen Tempelanlagen auf dem Berg Hieizan bei Kyoto. Man übernachtet hier nicht einfach nur – man schläft auf Tatami-Matten, meditiert, lebt wenn man möchte einen Tag lang bei den Mönchen des Tempels mit, und man lernt, buddhistische Sutras zu kopieren, mit Pinsel und Tinte, in japanischen Schriftzeichen natürlich.
Und so kommt auch mein Cappuccino – mit dem Kanji für das asiatische Tierkreiszeichen, welches ich vorher als Geburtsjahr angegeben hatte. Sehr clever, finde ich. Obendrein ist dieses nicht nur der beste Kaffee den ich in ganz Kyoto bis jetzt gefunden habe – das Ambiente ist an sich schon unbeschreiblich: die großzügige Lounge mit den braunen Ledersesseln hat eine enorme Fensterfront, welche den Blick auf den knapp 800 Meter tiefer gelegenen Lake Biwa, Japans grössten See und die Zedernwälder des Hieizan freigibt.
Bei den Tierkreiszeichen gibt es bei meinem nächsten Besuch etwas Verwirrung – ich will mal ein anderes sehen und deute auf das Jahr 2018 in der Tabelle. Ich bin eindeutig nicht erst ein Dreivierteljahr alt, und die Bedienung ist irritiert. Doch in Japan widerspricht man dem Gast nicht. In meinem Fall ist es einfacher, dem schrulligen Europäer einfach seinen Willen zu lassen. Mit einem Lächeln serviert sie mir wenig später mein elegant beschriftetes Getränk mit dem Hinweis „Dog!“. Aha – wir haben das Jahr des Hundes. Das immerhin haut hin, gestern hat sie mir einen Hahn für eine Ente vorgemacht.
Alles egal – der Cappuccino ist vorzüglich, der Blick auf die herannahenden Gewitter spektakulär, und ich lerne täglich immerhin ein neues Wort bei meinen Wanderungen hier oben. Heute erklärt sie mir, wie man „Donner“ und „Regen“ auf japanisch sagt und schreibt.
Ich trinke aus, und tauche wieder ein in den heiligen Wald, gerade als „Kaminari“ und „Ame“ den Berg erreichen und ihn in ein stundenlanges Spektakel aus Wasser, Sturm und Donnergrollen hüllen.